Der Engel des Verzeihens (Anselm Grün)

“Verzeihen und Vergeben, das klingt nach Nachgiebigkeit. Der andere kann auf mich draufschlagen. Und mir bleibt als Christ nichts anderes übrig, als zu vergeben. Ich darf mich nicht wehren. Ich muss auch meinen schlimmsten Feind verzeihen. Der Engel des Verzeihens will Dich nicht erniedrigen und wehrlos machen, sondern Dich befreien von der Macht der Menschen, die Dich verletzt und gekränkt haben. Verzeihen kommt von Zeihen, jemand anschuldigen und beschuldige, auf jemanden weisen. Verzeihen heißt daher: Verschuldetes nicht anrechnen, einen Anspruch aufgaben, den ich durch die Schuld des anderen haben.
Du solltest Deine eigenen Gefühle nicht unterdrücken, wenn Du verzeihst. Vergebung steht immer am Ende der Wut und nicht am Anfang. Um vergeben zu können, musst Du erst einmal den Schmerz zulassen, den Dir der andere bereitet hat. Aber Du sollst nicht in der Wunde wühlen, sonst tust Du Dir selbst weh. Daher brauchst Du neben dem Bewusstmachen des Schmerzes auch die Wut. Lass die Wut ruhig in Dir hochsteigen über den, der Dich verletzt hat. Die Wut ist die Kraft, Dich von dem zu distanzieren, der Dich gekränkt hat. Die Wut ermöglicht es Dir, den andern aus Dir heraus zuwerfen; der Dich ärgert und verletzt. Erst wenn Du ihn aus Dir heraus geworfen hast, kannst Du Dir vorstellen: “Er ist halt auch nur ein Mensch. Er ist auch nur ein verletztes Kind.” Oder Du kannst wie Jesus am Kreuz beten: “Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun” (Lk 23,34). Vielleicht denkst Du, der andere weiß genau, was er tut, wenn er mich verletzt, wenn er im mir Schuldgefühle hervorruft, wenn er mit seiner Kritik meine empfindlichen Stellen schonungslos aufdeckt. Ja, er weiß, was er tut. Aber er weiß nicht, was er Dir damit wirklich antut. Er ist so gefangen in seiner Struktur, in seiner Angst, in seiner Verzweiflung, dass er nicht anders kann. Er muss Dich klein machen, weil ihm kein anderer Ausweg bleibt, seine Größe zu glauben. Weil er selbst voll von Minderwertigkeitskomplexen ist, muss er andere kleiner machen, als er sich fühlt. Wenn Du so denkst, dann hat der andere keine Macht mehr über Dich. Und erst dann, wenn Du Dich durch Deine Wut von der Macht des anderen befreit hast, kannst Du wirklich vergeben. Dann spürst Du, dass die Vergebung Dir gut tut, dass die Vergebung Dich endgültig befreit von der Macht deren, die Dich verletzt haben.
Es brauchst allerdings oft lange, bis wir wirklich vergeben können. Wir sollen da unsere Gefühle nicht überspringen. (…) Solange das Messer, das Dich verletzt hat, noch in Dir steckt, kannst Du nicht vergeben. Denn dann würdest Du Dich damit nur noch mehr verletzen. Du würdest in der Wunde bohren. (…) Du musst den andern erst aus Dir heraus werfen. Dann kannst Du wirklich vergeben. Vorher wäre Vergeben nur ein Aufgeben Deiner selbst, ein Sichergeben in dein schlimmes Schicksal. Aber irgendwann wäre Vergeben nur ein Aufgeben Deiner selbst, ein Sichergeben in Dein schlimmes Schicksal. Aber irgendwann wäre Vergebung auch wirklich dran. Viele Menschen kommen nie los von denen, die sie verletzt haben, weil sie nie vergeben haben. Vergeben befreit Dich von den Kränkungen, die Dir enschen zugefügt haben. Und sie heilt Deine Wunden. (…)
Nicht vergebene Kränkungen lähmen mich. Sie ziehen mir die Energie ab, die ich für das Leben brauche. Und viele werden nicht gesund, weil sie es nie fertig gebracht haben, zu vergeben. Aber der Engel des Verzeihens lässt Dir Zeit. Er überfordert Dich nicht. Es gibt kein menschliches Zusammenleben ohne Verzeihung. Dnn ob wir wollen oder nicht, immer wieder werden wir einander verletzen. Wenn wir die Verletzungen einander aufrechnen, gibt es einen Teufelskreis der Kränkung. Wenn wir sie überspringen, werden sie in uns Bitterkeit und Aggression erzeugen, die wir dann bei irgendeiner Gelegenheit wieder herauslassen (…). Irgendwann werden wir es dem andern heimzahlen. Und es wir eine Schuld die andere erzeugen. Der Engel des Verzeihen unterbricht den Teufelskreis der Wiedervergeltung. Er reinigt die Atmosphäre und ermöglicht so auch uns, die wir verletzt sind und immer wieder verletzen, ein menschliches Miteinander.”



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